Unterwegs vom 12. bis 15.04.2017
Jedes Mal die gleiche Hektik vor dem Start und jedes Mal nehme ich mir vor, die nächste Fahrt ruhiger angehen zu lassen. Am Abend vor der Abfahrt bin ich wie immer noch bis spät auf dem Hundeplatz. Es ist ja niemand da, der mich vertritt. Dann irgendwann nach Hause mit der eigenen Hundemeute, auf dem Weg noch schnell zum Stall und schauen, ob alles ok ist. Bin ja nun ein paar Tage weg.
Es ist fast 21.00 Uhr. Zuhause wartet der normale Alltagswahnsinn. Noch nichts gepackt, einiges muss noch in die Waschmaschine. Immer der gleiche Gedanke: Das hättest du auch schon eher machen können.
Irgendwann falle ich ins Bett, schlafen kann ich lange nicht. Wenige Stunden müssen reichen.
Als der Wecker klingelt, habe ich das Gefühl, mich gerade erst hingelegt zu haben. Aber nach einer großen Tasse Kaffee bin ich topfit. Pünktlich starte ich.
Nach einer knappen Stunde bin ich auf der Höhe von Neumünster. Hier, bei Holger und Sabine Hass, werden noch Spenden abgeholt. Einiges an Hundefutter wurde hier gesammelt. Viele Menschen haben offensichtlich unseren Aufruf gelesen. Das Futter in Tatabànya wird knapp. Als alles gut verstaut ist und ich noch eine Tasse Kaffee getrunken habe, geht es weiter.
Rita, meine Mitfahrerin, wartet in Brunsbüttel. Auch hier laden wir Spenden zu. Inzwischen ist unser Transporter schon gut gefüllt.
Rita und ich fahren häufig zusammen. Die Stimmung ist wie immer ausgelassen und wir kommen zügig voran. Das Wetter ist nicht besonders gut. Das ändert nichts an unserer guten Laune.
Wir freuen uns immer darauf, nach Ungarn zu kommen. Dort warten gute Freunde auf uns, Gleichgesinnte, Mitkämpfer, Menschen, die uns verstehen und deren Sorgen und Nöte wir gut verstehen.
Im Raum Hannover treffen wir auf Christine Hartung-Czaja, die auch noch größere Mengen an Futter zum Transporter bringt. Sie würde am liebsten mit uns fahren. Aber es passt eben nicht immer. Jeder von uns hat selber mehrere Hunde und alle müssen ja auch bei unserer Abwesenheit betreut werden. Also, alles immer nicht ganz so einfach.
In der Nähe von Nürnberg ist der letzte Stopp, an dem wir Spenden zuladen dürfen. Auch hier viel Futter für Hunde und auch für Katzen. Jetzt ist der Transporter gefüllt bis unter das Dach.
Wir nehmen den Rest der Strecke in Angriff.
Mitten in der Nacht kommen wir in unserem kleinen Hotel an. Der Besitzer wartet schon auf uns. Wir fallen halb tot ins Bett.
Ich freue mich immer auf das Frühstück, das uns hier erwartet. Kaffee so viel wir wollen! Frisch gestärkt rollen wir mit unserer Ladung auf das Gelände des Tierheims. Im Rückspiegel sehen wir einen deutschen Pkw. Als wir aussteigen werden wir von den Insassen (eine kleine Familie mit einem netten kleinen Mädchen) freundlich begrüßt. Sie kennen unsere Organisation und haben das Logo auf unsere Auto erkannt. Sie machen Urlaub in Ungarn und auch sie haben Futter für das Tierheim dabei.
Hier findet die übliche freundliche Begrüßung statt. Wir sind unter Freunden.
Das Wetter ist gut und alle Hunde sind in ihren Ausläufen. Im Tierheim ist es ruhig. Einige Hunde laufen auch vorne im Eingangsbereich herum. Ich schaue mich um, es ist ein kleiner Yorkshire Terrier dabei, den wir noch nicht kennen. Fröhlich läuft er zwischen all den anderen großen und kleinen Hunden herum. Er ist noch neu hier und seine Chancen sind sicherlich gut, dass er bald ein neues Zuhause findet. Kleine Hunde warten hier nicht lange.
Große, schwarze und gestromte Hunde haben es da doch deutlich schwerer. So, wie Nudli. Ich erkenne ihn im ersten .Moment nicht. Er hat sich verändert. Aus dem fröhlichen, temperamentvollen Labrador-Mix ist ein trauriger Hund geworden. Nichts ist geblieben von seiner Fröhlichkeit, nichts von seinem Spielen, seinem Rennen und Toben. Noch im Januar sah er anders aus. Nudli hat es offensichtlich aufgegeben, auf ein anderes Leben zu hoffen. Ich kann es kaum glauben, dass dies wirklich derselbe Hund ist. Er ist dünn geworden, sehr dünn. Das Gesicht ist kantiger geworden und er schleicht fast teilnahmslos über das Gelände. Wie gerne würde ich diesen Hund mitnehmen in ein besseres Leben. Er liegt mir sehr am Herzen. In Gedanken verspreche ich ihm, alles zu tun, um das zu erreichen.
Der Tag vergeht mit dem Fotografieren der Hunde. Die Kollegen haben uns eine kleine Liste mit Namen mitgegeben. Alles Hunde, die wir besonders anschauen sollen. Wir haben viel zu tun. Zwischendurch ist immer wieder ein Hund da, der sich an uns drückt, den wir streicheln und mit dem wir ein wenig schmusen.
Wie oft denke ich, dass all diese Hunde vielleicht in Deutschland eine gute Chance hätten, wenn man sie sehen könnte, wenn man sehen könnte, was für tolle Charaktere hier warten.
Der Transporter muss noch ausgepackt werden. Wir schleppen die vielen Futtersäcke vom Auto in die Vorratsräume. Ich schaue mir die vielen Spenden an und denke, wie glücklich wir sein können, immer wieder Menschen zu finden, die bereit sind, uns zu unterstützen. Ohne all diese Menschen wären wir nicht in der Lage, dem Tierheim zu helfen.
Und jedes Mal, wenn ich in Tatabánya bin, ist da ein Hund, der mir ins Herz kriecht, von dem ich nicht lassen kann. Bei diesem Besuch ist es Tihamer.
Der alte Hundemann hatte viele Jahre ein gutes Zuhause in Ungarn. Schon fast sein ganzes Leben läuft er nur auf drei Beinen. Durch einen Unfall hat er sein linkes Hinterbein verloren. Er kommt gut klar damit. Nun ist er im Tierheim und versteht die Welt nicht mehr. Seine Menschen sind verstorben und er war allein zurückgeblieben im Garten eines kleinen Hauses. Nur die Nachbarn haben ihm ab und zu ein wenig Futter über den Zaun geworfen. Für Futter ist jetzt im Tierheim gesorgt. Nur für die Seele des Hundes ist es sicherlich eine Qual zur Zeit. So viele Hunde um ihn herum, so viel Gebelle bedeuten Stress für den alten Herrn. Damit kommt er nicht gut zurecht.
Der erste Tag ist fast vorüber und wir machen uns auf den Weg. Unterwegs schauen wir noch bei der Tierheimleiterin zu Hause vorbei. Hier wartet wieder ein leckeres Essen auf uns. Es ist immer wieder schön dort zu sein – unter Freunden.
Mir war es so wichtig, die alte Oma Zita zu sehen. Sie hatte mich bei meinem letzten Besuch in Ungarn so gerührt. So alt, so nett und so bescheiden ist die alte Hundedame. Sie muss nicht ihre letzten Jahre oder vielleicht auch nur Monate im Tierheim verbringen. Sie hat so viel Glück gehabt. Nach einem sehr langen Leben an einer Kette darf sie in einem warmen Körbchen schlafen, wird geliebt und gepflegt. Ich freue mich für diese arme Hundeseele und bin beruhigt, sie in einem so guten Zustand zu sehen.
Der nächste Tag beginnt wieder mit einem ausgiebigen Frühstück – für mich immer besonders wichtig.
Die Tage hier vergehen immer schnell und wir haben noch so einiges auf unserer Liste. Also, wieder ab ins Tierheim.
Es entwickelt sich ein Gespräch, zum Teil mit Händen und Füßen, das uns klarmacht, dass hier mal wieder große Not herrscht. Das Geld ist wie immer knapp. So viele Sorgenfälle und die dadurch enorm hohe Tierarztkosten können kaum noch aufgefangen werden. Es fällt unseren ungarischen Freunden sichtlich schwer, uns zu erklären, was ihnen Sorgen bereitet. Sie bitten nicht gerne um Hilfe. Aber die Lage ist verzweifelt genug. Und so sitzen wir lange zusammen, versuchen zu übersetzen, oft mit Hilfe eines Online-Übersetzers, fragen nach, versprechen, alles zu versuchen, um zu helfen. Aber auch das kann nur klappen, wenn wir wie bisher Spender finden, die bereit sind, uns und damit das Tierheim zu unterstützen.
Ich kann nicht ins Hotel zurück, ohne einen kleinen Spaziergang mit meinem neues Herzenshund Tihamer zu machen. Er genießt die kleine Ablenkung. Ganz offen geht er unterwegs auf Passanten zu und findet auch hier und da eine kleine Streicheleinheit. Was für ein toller Hund!
Der Tag neigt sich dem Ende zu und wir müssen die Boxen für den Rückweg vorbereiten. Einige Hunde dürfen mit uns in eine neues Leben reisen. Wir freuen uns für jeden einzelnen von ihnen.
Wir versuchen, in der Nacht noch möglichst viel Schlaf zu bekommen und so gehen wir nach einem guten Essen in unserem Hotel zeitig ins Bett. Ich schlafe sehr gut, besser als zu Hause. Dort habe ich Probleme mit dem nächtlichen Schlaf. Zu viele Hunde, die durch meine Gedanken wandern, lassen mich meist nicht zur Ruhe kommen. Hier in Ungarn schlafe ich immer tief und fest.
Der Tag der Rückreise ist da. Wir frühstücken, packen unsere Sachen zusammen, zahlen die Unterkunft und verabschieden uns bis zum nächsten Mal. Ja, wir kommen bestimmt wieder.
Im Tierheim steigen die Hunde ein, um in ihr Glück zu reisen.
Ich verabschiede mich von Nudli, nicht ohne mein Versprechen zu erneuern. Ich streichle den alten Tihamer und auch hier gibt es in Gedanken ein Versprechen.
Der Abschied von den Mitarbeitern im Tierheim ist immer sehr emotional. Wir nehmen uns in den Arm und uns fällt der Abschied wie bei jedem Besuch schwer.
Die Strecke nach Hause ist weit und wir machen uns auf den Weg. Aber auch dieser Weg ist nicht ohne Probleme. Unsere Hunde, die im Auto sitzen, kommen alle bei ihren neuen Familien an. Glückliche Menschen, glückliche Hunde. Wir freuen uns mit jedem einzelnen.
Vico, unser Not-Dobermann, hat eine Familie in Deutschland gefunden. Aber seine Menschen können ihn nicht selber abholen. Also erklärt sich mein Mann bereit, uns mit meinem Auto bis Kassel entgegen zu kommen. Gegen 20 Uhr treffen wir uns und wir lassen Vico umsteigen in mein Auto. Vico macht uns vorher noch einmal deutlich klar, dass er keine Lust mehr auf Autofahren hat. Er setzt sich mitten auf den Parkplatz und zeigt uns, dass er freiwillig nicht einsteigen wird. Rita und ich geben uns alle Mühe, aber Vico bleibt bei seiner Meinung. Schließlich muss mein Mann ihn ins Auto heben. Wir Frauen sind mit Größe und Gewicht doch etwas überfordert.
Ich fahre mit meinem Mann und Vico nach Duisburg und Rita fährt den Rest der Strecke alleine weiter. Ich weiß, sie schafft das.
In Duisburg wartet eine nette Übernehmerin, die ihren Vico glücklich in die Arme schließt. Vico ist angekommen in seinem neuen Leben. Er hat noch einmal Glück gehabt, denn eigentlich sollte er in der Tötung landen. Die Mitarbeiter unseres Tierheims waren glücklicherweise zur Stelle und haben diesen großen Schatz in Sicherheit gebracht.
Am Morgen um ca. 4.30 Uhr bin ich zu Hause. Es ist Ostersonntag und der Alltag hat mich wieder. Um 8 Uhr ist Osterfrühstück mit unseren Kindern und dem Enkelkind. Schlafen kann ich nicht, also stehe ich wieder auf. Kaffee hilft mir durch den Tag. Um 10 Uhr muss ich wieder auf dem Hundeplatz sein. Ich schleiche totmüde herum, alle wollen wissen, wie die Fahrt war, was wir erlebt haben. Ich erzähle und bin in Gedanken wieder in Ungarn, bei unseren Freunden, Gleichgesinnten. Ich erzähle von Nudli, der mir so viele Sorgen macht. Ich erzähle, dass er sich aufgibt, dass er keinen Sinn mehr darin sieht zu hoffen auf ein bisschen Glück. Alle sind betroffen und versprechen, sich umzuhören, mit mir einen Platz zu suchen für diesen Hund, der es, wie so viele andere, so sehr verdient hat.
In meinem Kopf kursiert ein Lied von Howard Carpendale: Ti Amo. Meine Gedanken haben den Text ein wenig verändert: Tihamer, mein schöner Tihamer...
Diese abgeänderte Zeile eines Liedes hat sich festgesetzt in meinem Kopf.
Ich hoffe so sehr für jeden einzelnen Hund.
Wir kommen wieder und wir versprechen, alles zu tun, um zu helfen eine Familie zu finden, für all diese wunderbaren Tiere.
Edith Kniehase